Stellungnahme zu Äußerungen eines Fachanwalts für Strafrecht vom 25.09.19
...im Verfahren zur Gruppenvergewaltigung einer 14jährigen in Harsewinkel beim Bielefelder Landgericht
Wir sind erschüttert darüber, welche Formulierungen von einem der Anwälte der Beschuldigten gewählt wurden und melden uns daher zu Wort.
Gerade bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist eine besondere Achtsamkeit im Umgang mit sprachlichen Formulierungen unbedingt von Nöten.
Die Berichterstattung von Journalist*innen und auch die Informationsweitergabe aller am Strafprozess Beteiligten ist eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe, da sie gesellschaftliche Meinungsbildung prägt und massive Auswirkungen auf (potentielle) Opfer und (potentielle)Täter hat.
Die Formulierungen, dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um "eine typische Gruppe von Jugendlichen, eine Clique von Jungs" und bei der Tat um einen "Lehrbuchfall der Gruppendynamik" , der nichts mit dem Kulturkreis, aus dem sie stammen, zu tun habe, handele, sowie dass es „eher typisch für ihr jugendliches Alter, da wurde von der Pornografie abgeguckt“, sei, ist für uns ein „typischer“ Ausdruck von Verharmlosung und Sexismus.
Möchte der Anwalt damit andeuten, dass in einem solch „lehrbuchartigen Fall von Gruppendynamik“, die „Jungs“ wenig alternativen Handlungsspielraum hatten?
Soll der „kumpelhaft anmutende und verjüngende“ Begriff „Jungs“ statt „Jungen und junge Männer“ andeuten, dass „Jungs“ in dem Alter eben noch keine wirkliche Verantwortung übernehmen können, eben „so sind“, und „ was will man da machen“?
Gruppenvergewaltigungen gehören zum Glück nun wirklich nicht zu den typischen psychologischen Lehrbuchbeispielen von Gruppendynamikprozessen, sondern sind als besonders schwere Form von sexualisierter Gewalt zu klassifizieren und jederzeit so zu benennen!!
Die Aspekte „Gruppendynamik“ und die Kombination von „Alter und männlichem Geschlecht“ in den Vordergrund zu stellen, statt die Gewalt, Gewaltbereitschaft und Planung der Gewalt, stigmatisiert alle Jungen und jungen Männer!
Möchte der Anwalt durch die Formulierung „ abgeguckt von der Pornographie“ andeuten, dass es weniger schlimm sei, wenn sexualisierte Gewalt durch Pornographie inspiriert wurde oder möchte er einen gesellschaftskritischen Hinweis darauf geben, dass Pornographie grundsätzlich ein gesellschaftliches Abbild von Frauenabwertung und Gewalt gegen Frauen darstellt?
Mit diesen Fragen, Anmerkungen und Resonanzen möchten wir, wie auch an vielen anderen Stellen schon , einen gesellschaftlichen Diskurs anregen, der langfristig dazu führen soll, dass jede Form von (sexualisierter) Gewalt geächtet wird und jeder und jede sich ihres/seines gesellschaftlichen Beitrags zu Gewaltsensibiliserung, Gewaltverschleierung oder Gewaltstabilisierung bewusst ist.
Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen, Mädchenhaus Bielefeld e.V.
Mitunterzeichner*innen:
Ärztliche Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern e.V., Bielefeld
Frauen helfen Frauen – Frauenhaus e.V., Bielefeld;
Frauennotruf Bielefeld e.V.;
Gleichstellungsstelle des Kreises Gütersloh;
Mädchentreff Bielefeld e.V.;
man-o-mann männerberatung im VSGB e.V., Bielefeld;
Wildwasser Bielefeld e.V.
Die Stellungnahme ist von uns zwischenzeitlich an die unterschiedlichen fallübergreifenden Gremien und Netzwerke versandt worden und wurde auch in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Die Resonanz darauf war sehr positiv und viele Einrichtungen haben diese spontan unterstützt. Die Reaktionen zeigten uns als Beratungsstelle nochmal, wie wichtig es ist, klar Stellung zu beziehen und den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema sexualisierte Gewalt zu führen.
Folgenden Einrichtungen schließen sich unserer Stellungnahme inhaltlich noch an:
BellZett e.V., Bielefeld;
Erziehung-, Familien – und Krisenberatung; Diakonie für Bielefeld gGmbH;
Psychologische Frauenberatung e.V.; Frauenberatungsstelle Bielefeld;
SKM – kath. Verein für soziale Dienste in Bielefeld e.V.
0521 - 17 88 13