Herzklopfen - Präventionsangebot für Schülerinnen zum Thema Gewalt in intimen Teenagerbeziehungen
Der Verein Mädchenhaus Bielefeld e.V. bietet, gefördert über „Maßnahmen für Mädchen in besonderen Lebenslagen“ des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Präventionsworkshops für Mädchen zum Thema „Gewalt in intimen Teenagerbeziehungen“ an. Je nach Alter und Bedarfen der Zielgruppe werden diese in unterschiedlicher Konzeption bereitgestellt.
Hintergrundinformationen zu Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen und Datingkontakten
Aktuelle Studien sowie auch die Erfahrung der Mädchenberatungsstelle zeigen ein erhöhtes Auftreten von Gewalt an Mädchen in jugendlichen Paarbeziehungen oder in der Zeit während der Anbahnung von Beziehungen.
Mädchen und junge Frauen berichten von gewaltgeprägten Beziehungsstrukturen, von konkreten sexuellen Übergriffen in (ersten) Liebesbeziehungen oder ersten Verabredungen, bzw. insgesamt vermehrt von sexuellen Übergriffen mit und ohne Körperkontakt durch Gleichaltrige.
Obwohl sexualisierte Gewalt also in unterschiedlicher Aus-prägung zur Lebensrealität vieler zumeist weiblicher Jugendlicher gehört, wird diese Erfahrung vor Erwachsenen überwiegend verborgen und ist immer noch gesellschaftlich tabuisiert.
Wenn Mädchen sich mit diesen Erfahrungen an ihr soziales Umfeld wenden, erleben sie auch heute noch häufig Bagatellisierungen, Infragestellung ihrer Wahrnehmungen und Verantwortungsverlagerung insbesondere dann, wenn der Täter nicht dem Täterstereotyp (fremd, gewalttätig und in böser Absicht) entspricht. Dies führt oft zu großer Verunsicherung, erschwert die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten und die Verarbeitung der Gewalterfahrungen, welches sich wiederum ungünstig auf die psychosoziale Entwicklung und die spätere Partnerschaftsgestaltung der Mädchen auswirken kann.
Auch der digitale Raum birgt ein großes Risiko für sexualisierte Grenzverletzungen und Gewalt.
Sowohl das Ausüben als auch das Erleiden sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen wird durch verschiedene Fak-toren beeinflusst. Nach bisheriger Forschungslage kann von einem großen Einfluss der Peergroup, bzw. Peerkulturen ausgegangen werden. Während sich beispielsweise der wahrgenommene Druck durch Gleichaltrige, sexuell aktiv zu sein, die Akzeptanz von Zwang und Gewalt in der Peergroup, der Alkoholkonsum im Freundeskreis als Risikofaktoren auswirken, hat das Ausmaß gegenseitiger Unterstützung einen schützenden Effekt. Des Weiteren gelten z.B. eingeschränkte Selbstschutzfähigkeiten, geringe Selbst-achtung sowie sexuelle Gewalterfahrungen in der Kindheit als Risikofaktoren einer erneuten Viktimisierung (vgl. auch „Der aktuelle Forschungsstand zum Dunkelfeld und Prävention sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen“ von Dr. Heinz Kindler im Jahr 2017).
Spezifische Präventionsmaßnahmen, welche möglichst schon frühzeitig in der Pubertät ansetzen, sind hilfreich und geeignet, um Schutzfaktoren im Individuum und im sozialen Umfeld zu stärken und Risikofaktoren im Individuum und im sozialen Umfeld zu verringern.
Inhalte
Über verschiedene methodische Zugänge werden die Mädchen an die Themen Liebe, Partnerschaft, Geschlechter-rollen, Sexualität, Grenzen, Grenzverletzungen und Gewalt herangeführt und es wird eine Auseinandersetzung initiiert über ihre diesbezüglichen Annahmen, Bewertungen, Gefühle, Werte, Orientierungen und Einstellungen. Insbesondere ihren inneren Ambivalenzen und Unsicherheiten bezüglich der oft durch Medien (Filme, (Musik)-Videos) vermittelten Frauen- und Männerbildern soll Raum zur Bewusstwerdung gegeben werden.
Neben Aufklärung über Formen, Kontexte und Folgen von (sexualisierter) Gewalt oder Grenzverletzungen geht es insbesondere darum, die Mädchen in ihren Selbstschutz-fähigkeiten zu stärken.
Des Weiteren ist intendiert, dass die Workshops eine unmittelbare und mittelbare Funktion von Orientierung, Entlastung und Klärung für die Mädchen erfüllen und sowohl den Zusammenhalt und die Unterstützungsbereitschaft untereinander als auch einen respektvollen Umgang mit sich und anderen fördern.
Rahmenbedingungen
Die Workshops werden von zwei Kolleginnen des Mädchenhauses durchgeführt und finden an zwei aufeinander-folgenden Terminen (à vier Schulstunden) statt. Das Ange-bot richtet sich an Schülerinnen ab der 7. Klasse, welche eine Gruppe aus 8 bis 12 Mädchen bilden. Wenn durch die Gruppenarbeiten bei den Mädchen ein Beratungs- oder Unterstützungsbedarf ausgelöst wird, können die Mädchen das Beratungsangebot der Mädchenberatungsstelle nutzen.
Wirkung und Wirksamkeit
Die Erfahrungen aus den Workshops und die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen zeigen, dass das Thema, wie eine Liebesbeziehung gut gestaltet werden kann und welche Risiko- als auch Schutzfaktoren es dabei gibt, bei den Mädchen auf großes Interesse stößt und gut an ihrer Lebens-realität anknüpft.
Es wird deutlich, dass sie auf der Suche nach Orientierung und Klärung sind und gut in Resonanz gehen auf die ihnen angebotenen Zugänge der jeweiligen Übungen, welche darauf ausgelegt sind, ihnen viel Identifikation zu ermöglichen. Auch die pädagogisch bewusst induzierten Dissonanzen wirken und die Mädchen erleben „Aha-Erlebnisse“ insbesondere dazu, dass sie oft das Verhalten von Mädchen kritischer bewerten als das Verhalten von Jungen.
Gerade das Thema Schuld ist von zentraler Bedeutung und es wird oft deutlich, wie schnell die teilnehmenden Mädchen „bereit“ sind, Mädchen eine „Mitschuld“ zu „geben“, wenn sie Opfer von sexualisierter Grenzverletzung oder Gewalt werden.
Gesellschaftlich tief verankerte Bewertungsmuster als kollektive Bewältigungsstrategie bei sexualisierter Gewalt an Mädchen und Frauen „scheinen aus den Mädchen zu sprechen“. Wenn sich dies mit der individuellen Bewältigungsstrategie nach eigener erlebter sexualisierter Gewalterfahrung kombiniert, kann sich das Bewertungsmuster verfestigen und sich darüber auch subjektiv scheinbar „bewahrheiten“. Hier können die Workshops mit den im Gruppenprozess erlebten Inhalten wichtige Impulse setzen um über Bewusstwerdung potentiell neue Bewertungen zu ermöglichen, die zu einem größeren Selbstschutz führen.
Als weiterer Indikator dafür, ob die Inhalte der Workshops Wirkung zeigen, kann angesehen werden, dass die Mädchen in der zeitlich späteren Veranstaltung davon berichten, welche Erfahrungen sie in der Zwischenzeit gesammelt haben zum Thema Beziehungsgestaltung, grenzverletzen-dem Verhalten, Frauen- und Männerbilder in Serien, Musikvideos und -texten, Instagram und co. und was ihnen nach den neuen Impulsen oder auch Erkenntnissen dabei aufgefallen ist. Von ihnen neu bewertete Erfahrungen sind beispielsweise, dass sexualisierte und Frauen verachten-de Sprüche im Schulalltag unkommentiert akzeptiert oder auch untereinander verbreitet werden, dass eigene Grenzen oder Grenzen anderer nicht gesehen und akzeptiert werden, z.T. auch von ihnen selbst.
Manchmal trauen sich Mädchen auch, über bisher verschwiegene Gefühle von Unbehagen und Zweifel zu sprechen, die durch Verhaltensweisen ihres Freundes ihnen gegenüber entstanden sind.
Ebenso wichtig wie wirksam ist das Thema Sprache und Scham für die Mädchen. Um über sexualisierte Grenzverletzungen sprechen zu können, ist es wichtig Worte sowohl für Sexualität und Körperempfindungen zu haben, als auch für verschiedene Gewaltformen. Auch für die Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität ist es förderlich sowohl über eigene Wünsche und Bedürfnisse und „Ja-Gefühle“ sprechen zu können, als auch über Ängste, Grenzen und „Nein-Gefühle“. In den Workshops wird den Mädchen in entspannter und humorvoller Atmosphäre die Möglichkeit eröffnet, Antworten auf und Orientierung zu Fragen rund um das Thema Sexualität, Sexualitätserwartungen, Sexualitätsmythen zu erhalten. Dabei werden auch durch Medien verfälschte Sichtweisen aufgedeckt sowie gewaltintegrierte Vorstellungen von Sexualität in Liebesbeziehungen deutlich, die dann bearbeitet werden können. Die Mädchen selbst empfinden es oft als großes Glück, über solche Themen sprechen zu können und es fallen als Rückmeldungen Sätze wie:
„Danke, dass wir das hier machen konnten. Über solche Themen spricht sonst niemand mit einem. Ich habe was für mein ganzes Leben mitgenommen. Meine Gefühle sind wichtig und wenn ich was nicht will, darf mich niemand zwingen oder drängen.“
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