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Auf Leinen gestempelte Worte wie Ich bin stark oder ich gestalte mein Leben so wie ich will

Viele Frauen bleiben schutzlos

Die Schutzrechte für Frauen und Mädchen in Deutschland sind keine Garanten für tatsächliche Hilfe. Gewaltbetroffene bekommen in der Bundesrepublik aus verschiedenen Gründen nicht immer Schutz: Die Anzahl der Plätze in Frauenhäusern reichen nicht aus – einigen steht gesetzlich erst gar keine Hilfe zu. Für andere, Betroffene mit Behinderung, sind oftmals die Barrieren zu hoch. Dabei leiden gerade sie am häufigsten unter Gewalt.

Nachwievor gibt es in Deutschland ein hohes Ausmaß an Gewalt gegen Frauen. Zahlreiche Studien belegen dies. Nach einer Auswertung zu Gewalt in Partnerschaften des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2016 nahm die Anzahl gemeldeter Fälle sogar zu: „Knapp 109.000 Frauen waren laut polizeilicher Registrierung Opfer versuchter und vollendeter Delikte wie Mord, Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung und Stalking durch ihre Partner.“ Heißt es in der Bekanntmachung – die Dunkelziffer sei erheblich größer.

Die Zufluchtsstätten können die ansteigende Gewaltbereitschaft nicht auffangen: Erst im Herbst 2017 schlugen die Frauenhäuser in Deutschland Alarm, die Aufnahmesituation war dramatisch wie nie. Und seitdem? „Es gibt kleine Fortschritte, aber die sind wie Tropfen auf einem heißen Stein“, berichtet Heike Herold, Geschäftsführerin von dem Verein Frauenhauskoordinierung (FHK).

Auch jetzt gebe es ganze Bundesländer, in denen nicht ein Platz frei sei, in Berlin gebe es beispielsweise Wartelisten.
Notleidende müssten ihr Umfeld verlassen und weiter aufs Land hinaus, was weitreichende Folgen für Kinder, Kitaplätze, und die Frauen, Arbeitsplatz, hätte, sagt Herold.

Das Problem ist vielerorts die Finanzierung. „Sie ist weder in Höhe noch im Umfang ausreichend. Genügend Personal kann unter diesen Bedingungen nicht beschäftigt werden. Zudem erfolgt die Finanzierung auf freiwillige Basis. Das bedeutet, sie kann bei klammen Haushaltsmitteln schnell gekürzt werden oder ganz entfallen“, erläutert Marion von zur Gathen, Leiterin der Abteilung Soziale Arbeit beim Paritätischen Gesamtverband und Vorstand der FHK. So könne kein verlässliches Angebot für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder bereitgestellt werden. An diesem Zustand müsse sich dringend etwas ändern. „Wir brauchen eine verlässliche Finanzierung auf der Basis eines einklagbaren Rechtsanspruchs“, fordert von zur Gathen. Besonders häufig betroffen von Gewalt sind Frauen und Mädchen mit Behinderung, so dass angepasste Schutzangebote erforderlich sind: Die anonyme Zufluchtsstätte für
Mädchen in Bielefeld ist bunt. Die Dienstzimmer der Betreuerinnen haben andere Farben als die Zimmer der jungen Frauen, das Farbleitsystem sowie kontrastreiche Übergänge dienen den Mädchen als Orientierung: So können Sehbehinderte am Boden den Übergang vom Flur zum Zimmer erspüren und sich an Beschilderungen mit Punktmarkierungen informieren. Hinzu kommen Rampen für Rollstuhlfahrerinnen oder Schallschutzdecken sowieLichtklingeln für Gehörgeschädigte.

„Wir haben uns bemüht, in unserer Zufluchtsstätte größtmögliche Barrierefreiheit zu schaffen“, berichtet Birgit
Hoffmann, Geschäftsführerin des Mädchenhauses Bielefeld. Der Jugendhilfeträger eröffnete im Frühjahr 2018 die erste bundesweit barrierefreie anonyme Zufluchtsstätte für junge Frauen. Der Verein schloss damit kaum die bundesweite Versorgungslücke: Seitdem sind vier der inklusiven Plätze mit Mädchen und jungen Frauen mit Behinderungen belegt.

Der Bedarf ist hoch: „Es gibt einen alarmierenden Unterschied im Vergleich zu jungen Frauen ohne Behinderungen“, sagt die pädagogische Mitarbeiterin Lena Blomenkamp von der Beratungsstelle „Mädchen sicher inklusiv“ des Mädchenhauses Bielefeld. Eine Studie vom Bundesfamilienministerium aus dem Jahr 2011 bestätigt: Frauen mit Behinderungen sind zweibis dreimal häufiger sexuellem Missbrauch in Kindheit, Jugend sowie im Erwachsenenleben ausgesetzt als der weibliche Bevölkerungsdurchschnitt. Mit 58 bis 75 Prozent erlebten auch im höheren Alter fast doppelt so viele beeinträchtigte Frauen körperliche Gewalt wie nichtbehinderte mit 35 Prozent.

Aber warum sind diese Frauen mehr Gewalt ausgesetzt? Blomenkamp nennt einige Faktoren, wie mangelnde
Aufklärung, Informations- oder Kommunikationsbarrieren, fehlendes Selbstbewusstsein oder extreme Abhängigkeitsverhältnisse. „Es kommt immer darauf an, wen man an seiner Seite hat“, so die Behindertenberaterin. Die Mädchen seien der Willkür ihrer Angehörigen oder ihrer Pflegekräfte ausgeliefert. Dabei ist die Gewalt, die den jungen Frauen angetan wird, vielfältig: Physisch, sexuell oder psychisch. So redet oder schreibt die Pädagogin in ihrer Beratungsstelle mit Behinderten, die über Jahre hinweg von ihrer Betreuungsperson beleidigt und niedergemacht
werden. „Das ist wie das Gift eines Stachels, das lange nachwirkt.“

Es gebe auch institutionalisierte Gewalt: „Vereinzelt begegnet es mir, dass die Mädchen nicht richtig aufgeklärt sind, wenn es um die Dreimonatsspritzen geht“, berichtet Blomenkamp. So würden obligatorisch Verhütungsspritzen gegeben, ohne dass die jungen Frauen mitbekämen, was mit ihnen passiert. Das zeigt, wie selbstverständlich in manchen Situationen über die Behinderten hinweggegangen wird.

Aufklärung kann Gewalt vorbeugen, auch deswegen gehen die Beraterinnen von „Mädchen sicher inklusiv“ in Schulen, bieten niedrigschwellige Beratung und Informationsmaterial in leichter Sprache an. Ihre Erfahrungen zeigen: „In fast allen Schulen, in denen wir waren, berichten Mädchen von Übergriffen, die sie in ihrem Leben erlebt haben“, sagt Geschäftsführerin Hoffmann. Bei den hohen Gewaltzahlen ist die Beratungsstelle sehr stark nachgefragt: „Der Bedarf überschreitet die Möglichkeiten“, bestätigt Pädagogin Blomenkamp. Die Diskrepanz zwischen theoretischem Recht
und tatsächlichem Schutz sei riesengroß.

Diese Diskrepanz zeigt sich bei gewaltbetroffenen Frauen mit wie ohne Behinderung. Dabei gibt es viele internationale Übereinkommen: Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 soll für beeinträchtigte Menschen diskriminierungs- und barrierefreie Teilhabe sowie persönliche Sicherheit gewährleisten. In Artikel 3 der UN-Menschenrechtscharta
ist von dem Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit die Rede. Und im Grundgesetz der Bundesregierung steht, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat (Artikel 2). Hinzu kommen beispielsweise der Jugendschutz und das Strafgesetz.

Aber die aktuellen Rechte sind zu unspezifisch, meint Heike Herold, die FHK-Geschäftsführerin. Der Verein wirkt + bundesweit in der Antigewaltarbeit, unterstützt Frauenhäuser und -schutzwohnungen, fördert die Vernetzung und engagiert sich für ein neues Gesetz: „Es gibt in Deutschland außer den allgemeinen Grundsätzen keinen rechtlich verbrieften Anspruch auf Schutz vor Gewalt sowie spezifische Beratung und Schutz im Frauenhaus“, so Herold. Dementsprechend gebe es auch keinen Anspruch auf einen Frauenhausplatz, was fatal sei: Solange Notstellen keinen Platz finden, muss ein Gewaltopfer in seiner Lage bleiben. Die Situation von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sei in Deutschland prekär, die Situation von behinderten Frauen sei noch prekärer, da sie deutlich schlechter erreicht würden. Zudem gebe es eine weitere Gruppe an Frauen, die in Realität gar keinen Schutz erhalten, weiß Herold: Für Frauen ohne Papiere oder ohne Anspruch auf Sozialgelder sei es praktisch unmöglich, einen Platz zu finden. So habe eine Portugiesin, die erst seit anderthalb Jahren in Deutschland lebt, keinen Anspruch auf deutsche Sozialhilfe und es gebe keine Möglichkeiten einer Finanzierung. „Für diese Zielgruppe gibt es leider keine Ausnahmeregelung“,
sagt Herold.

Bei all den Versorgungslücken gibt es aber auch Hoffnung: So wurde die sogenannte Istanbul-Konvention im vergangenen Oktober von Deutschland ratifiziert. Als Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beinhaltet die Konvention auch die Verbesserung von Hilfsangeboten. Die Frauenhauskoordinierung fordert dafür eine konsequentere Anwendung.

Für eine bessere Unterstützung von Frauenhäusern und ambulanten Hilfseinrichtungen will jetzt auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit einem Runden Tisch sorgen. Dabei sollen gesetzliche Lösungen entwickelt und diskutiert werden, beispielsweise in Form einer Kostenübernahme für die Unterkunft im Frauenhaus oder eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung.


Annabell Fugmann | Der Paritätische

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